Stellt Euch vor, Euer Partner, mit dem Ihr gern gemeinsam Marathon lauft, verletzt sich mit bleibenden Folgen und muss von nun an einen Gang runter schalten. Er kann jetzt nur noch ein Stündchen täglich spazieren gehen, statt wie vorher stundenlang mit Euch zusammen joggen. Er muss ein wenig aufpassen auf seine Gesundheit und braucht Physiotherapie, aber ansonsten geht es ihm gut. Würdet Ihr Euch von ihm trennen? Oder Euch wünschen, er lebte nicht mehr? Nein. Ihr würdet gemeinsam mit ihm bedauern, dass das mit dem Marathon nun nicht mehr geht und Euch andere Möglichkeiten suchen, eine schöne Zeit miteinander zu verbringen.
Für Pferde, unsere geliebten Freizeitpartner, geht die gleiche Geschichte oft anders aus.
Immer wieder bin ich in meiner Arbeit mit Fällen konfrontiert, in denen Pferdehalter*innen das Einschläfern ihres Pferdes in Erwägung ziehen, weil dieses nicht mehr reitbar ist. Altersbedingt, verletzungsbedingt, krankheitsbedingt. Wenn andere Bereiche des Lebens noch wie vorher oder leicht eingeschränkt funktionieren, gibt es dazu überhaupt keinen Grund und ist unfassbar unfair.
Wer hat eigentlich diese Annahme verbreitet, jedes Pferd müsse geritten werden? Und wer hat das noch weiter geführt und verbreitet, absolut jedes zum Reiten gekaufte Pferd wolle geritten werden? Manche Pferde mögen das tatsächlich gern. Meist die, die achtsam und mit Einfühlungsvermögen geritten werden. Aber viele sind glücklich, in ihrer hoffentlich harmonischen Herde mit artgerechtem Essen, Schutz vor Wetter und genügend Platz zu leben. Und wenn der Mensch kommt, freuen sie sich, Zeit mit ihm zu verbringen, etwas neues zu lernen oder zu sehen. Oder einfach nur mit ihm zusammen zu sein.
Bei der Frage nach dem Einschläfern rede ich nicht von den Fällen, wo das Pferd dauerhaft starke, nicht veränderbare Schmerzen hat oder ein Leben in Einsamkeit oder ohne Bewegung führen müsste. Ich rede von den Pferden, die ihrem Leben ganz gewohnt nachgehen können, nur eben ohne das körperlich anspruchsvolle Gerittenwerden.
Ich bin dankbar, dass es Tierärzt*innen gibt, die die Entscheidung mancher Pferdehalter*innen, ihr nicht mehr reitbares Pferd einzuschläfern, nicht mittragen. Die auf die Alternativen hinweisen. Oft wird hier das Beistellpferd genannt, das einem anderen Gesellschaft leisten soll. Sicher besser, als bei jemandem zu sterben, der einen finanziell und zeitlich nur tragen will, wenn man ihn weiterhin trägt, weiterhin Leistung bringt.
Aber noch schöner ist es doch, sich gemeinsam auf das zu besinnen, was man aneinander hat. Das Wesen des Pferdes kennenzulernen, zu erfahren, was es zu geben hat abseits der körperlichen Leistung. Warum nicht die Veränderung im Umgang miteinander annehmen? Ein Pferd an der Seite, statt unter sich zu haben? Die Welt gemeinsam erkunden, die Nähe des anderen spüren, voneinander lernen? Darin liegt ein Schatz zu einer echten, tiefen Bindung, die so viel mehr Wert ist, als ein Ritt.