Für mehr Gefühl im Umgang mit Tieren

862 647 Christine

Ein Artikel von mir aus dem Tellington TTouch® Magazin 4/2019:

Um zu verstehen, was Gefühle zwischen uns und unseren Mitlebewesen ausmachen, lade ich Sie dazu ein, sich einmal an eine klärende Auseinandersetzung in Ihrem Leben zu erinnern. Eine, die Ihnen vielleicht etwas schwergefallen ist und anstrengend war, aber in der Sie und Ihr Gegenüber sich einander mitteilen konnten und Sie sich in Richtung Lösung bewegt haben. Und dann ging der Tag normal weiter.

Nun denken Sie doch mal an eine Auseinandersetzung zurück, bei der Sie währenddessen vielleicht ausfallend wurden oder Ihrem Gegenüber etwas „an den Kopf geworfen“ haben. Oder vielleicht hat jemand zu Ihnen etwas gesagt, was wirklich wehtat. Nach dem Gespräch waren beide Seiten vielleicht ganz zittrig und es dauerte eine Weile, bis Sie sich wieder gefangen haben. Oder vielleicht haben Sie das nie mehr ganz? Vielleicht blieb etwas zurück, wie ein Pfeil im Herzen oder in der Magengegend? Im Kernschamanismus nach Dr. Michael Harner spricht man von dem Unterschied, Gefühle zu senden und Gefühle auszudrücken. „Sich Luft zu machen“ ist etwas anderes, als „jemandem etwas an den Kopf zu werfen“. Letzteres tut dem anderen weh, manchmal bleibend.

In der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg (GFK) werden Lösungswege aufgezeigt, mitzuteilen, was in mir los ist, ohne mein Gegenüber mit meinen Worten zu verletzen. Hierbei beginnen wir damit, zunächst die Situation möglichst objektiv und ohne Wertung zu beobachten. Etwas, das uns in der Tellington TTouch® Methode aus der Erstbegegnung mit Kunden und ihren Tieren sehr vertraut ist. Dann gilt es, das eigene Gefühl zu erkennen und zu benennen – schon das ist für manche von uns unter Umständen gar nicht so einfach. Dieser Schritt ist aber wichtig, denn daraus entwickelt sich schließlich ein Gefühl für das, was wir brauchen, damit es uns gutgeht im Bezug auf die Situation. Zu guter Letzt können wir daraus eine Bitte für unser Gegenüber formulieren.

SIE FÜHLEN WIE WIR

Ja, stimmt, Tiere drücken sich anders aus als wir. Wir haben jedoch viel mehr gemeinsam, als uns unterscheidet. Und der Weg, den die GFK anbietet, können wir leicht auch mit unseren Tiergefährten beschreiten. Einen gewissen Unterschied bildet die Sprache und das, was wir Menschen ihr anheften. So können wir unseren Worten, wie im Beispiel oben, Ladung verleihen. Der Satz „Ich danke dir“, tief empfunden, fühlt sich anders in uns an als die Worte „Du Idiot“. Es lohnt sich, das einmal in einem stillen Moment als Kontrast in sich zu generieren. Wo und wie nehme ich welches Gefühl körperlich wahr?

Gerade diese Ladung macht unseren bewussten Umgang mit Ausdruck so wichtig, denn die Tiere unserer Familie verstehen uns gefühlsmäßig immer unmittelbar, auch wenn menschlich-abstrakte Zusammenhänge nicht jederzeit ganz klar für sie sind. Ich spreche deshalb in meinen Seminaren stets die Empfehlung aus, mit Tieren so zu sprechen, wie wir es mit einem Kind in der ersten Schulklasse tun würden. Klar, unkompliziert, freundlich. Tiere verstehen die Botschaft hinter dem Wort, dabei insbesondere das Gefühl.

DAS GLEICHE PRINZIP

Eine tief empfundene Entschuldigung an unser Pferd, mit dem wir vielleicht gerade unsanft oder ungeduldig waren oder es in eine blöde Situation gebracht haben, kommt genauso an und braucht die gleichen Zutaten wie die für Menschen:

Ich habe einen Fehler gemacht, als ich (…).

Ich bedaure das sehr, weil (…).

Ich habe (…) daraus gelernt.

Ich möchte es wiedergutmachen, indem ich (…)./Oder: Was kann ich tun, um das in Ordnung zu bringen?

Es braucht nicht viel Text, sondern es genügt, für einen kurzen Moment zu fühlen, was mit jedem dieser Punkte verbunden ist, während ich meine Entschuldigung an mein Pferd im Kontakt mit ihm laut ausspreche. Dann noch einen Moment innezuhalten und wirklich über die Verbindung miteinander zu spüren, dass etwas ankommt und sich Gefühle wie Frieden, Verständnis, Versöhnung, Harmonie ausbreiten, vertieft die Beziehung immens.

Sich dafür zu öffnen, dass mein Freund in Tiergestalt das volle Spektrum der Gefühle besitzt, gesteht ihm ein eigenes, komplexes Innenleben zu und bringt uns einander näher.

Man muss auf Augenhöhe sein, um von Herz zu Herz zu kommunizieren.

OPTIONALE ÜBUNG: EINFÜHLEN UND DIE PERSPEKTIVE WECHSELN

Folgen Sie Ihrem Tier für mindestens eine Viertelstunde. Wortwörtlich. Sie haben einen Hund als Freund? Dann lassen Sie ihn (im sicheren Rahmen) bestimmen, wohin Sie gehen. Halten Sie mit ihm an, wo immer er schnüffeln will. Schnüffeln oder schauen Sie selbst genau an, was er näher inspiziert hat. Sie leben mit einer Katze? Folgen Sie ihr eine Weile, drinnen oder draußen. Seien Sie nah dran und erspüren Sie, was sie spürt. Gehört ein Pferd zu Ihnen? Dann gehen Sie zu ihm auf den Paddock oder die Weide. Berühren Sie es nicht, sondern bewegen Sie sich mit ihm, mit der Herde. Hören Sie genau hin und achten Sie auf den Wind. Lassen Sie das Gefühl der Verbindung sich ausbreiten und danken Sie Ihrem Tier.